Der renommierte Medienanwalt Manuel Bertschi weiss, wie schnell eine Krise eskalieren kann und welche fatalen Fehler oft ganz zu Beginn gemacht werden. Im Interview spricht er über rechtliche Spielräume, über «Rudeljournalismus», über Empathie, die Zusammenarbeit mit uns Krisenberatern und die Auswirkungen des Ressourcenabbaus bei den Medien.
Was ist eine Krise für einen Medienanwalt?
Eine Krise ist, wenn einer Person oder Organisation ein schwerer Reputationsschaden droht oder dieser bereits eingetroffen ist. Wenn in Medienberichten aufgeworfene Vorwürfe die Essenz der Person oder Organisation betreffen. Ich stelle fest: Solche Reputationsschäden treten in der heutigen, digitalisierten Welt immer schneller ein.
Inwiefern?
Das Tempo des Online-Journalismus und der Sozialen Medien ist rasant, die Verbreitung potenziell weltweit. Wer medial mit Vorwürfen konfrontiert ist, muss damit rechnen, dass sich innert weniger Stunden Partner von einem abwenden, Geschäftsbeziehungen gestoppt werden, sich etwa auch Banken von einem zurückziehen. Das kann sehr rasch existenzbedrohend sein. Verschärft wird solcherlei Rufschädigung durch etwas, das man «Rudeljournalismus» nennt.
Du meinst das «Nachziehen» einer Geschichte, wenn diese in einem anderen Medium erschienen ist?
Ja, das Abschreiben einer Geschichte. Als Quelle reicht der Verweis auf den ursprünglichen Artikel. Eigene Recherchen werden nicht gemacht. Die Berichterstattung wird mit der Berichterstattung der anderen legitimiert. Wer in einer solchen Situation Fehlinformationen korrigieren will, muss nicht nur mit einem Medium kämpfen, sondern mit mehreren. Der Aufwand erhöht sich dadurch.
Was ist aus rechtlicher Sicht die grösste Herausforderung bei Krisen? Das wichtigste Learning aus deiner Erfahrung?
Die entscheidenden Fehler passieren zu Beginn. Je früher Betroffene realisieren, dass sie sich in einer Krise befinden und Unterstützung beiziehen, desto mehr kann man für sie bewirken. Ist der Senf aus der Tube, lässt er sich nicht mehr ganz zurückdrängen, der Schaden ist angerichtet. Der Schaden kann dann also nicht mehr verhindert, sondern bloss noch begrenzt werden.
Das kennen wir gut. Wenn es bereits lichterloh brennt, können auch wir meist nur noch das Feuer eindämmen. In welchem Zeitpunkt sollten dich Betroffenen anrufen?
Möglichst früh. Meine Arbeit lässt sich dadurch effizienter und wirkungsvoller ausführen. Ein verbreitetes Missverständnis ist, dass Medienrechtler primär in Gerichtsverfahren aktiv sind. Der grösste Teil meiner Arbeit geschieht ausserhalb, im direkten Gespräch mit Journalisten und Redaktionen, bei der Aushandlung von Kompromissen und Lösungen bei drohenden, potenziell persönlichkeitsverletzenden Medienberichten. Dies hilft den Klienten häufig mehr, als wenn sie Jahre später vor Gericht Recht erhalten, sich aber niemand mehr dafür interessiert.
Was sollten Betroffene in einer Krisensituation vermeiden?
Mir gegenüber nicht alle Fakten auf den Tisch legen, z.B. aus Scham vor unangenehmen Tatsachen. Erhalte ich relevante Fakten nicht oder zu spät, verliert man wertvolle Zeit und die Krise akzentuiert sich.
Welche Fehler siehst Du in der Praxis immer wieder?
Mal erfolgt die Kommunikation zu schnell, mal zu langsam. Wer gesprochen hat, bevor der Sachverhalt wirklich tiefgehend abgeklärt ist, kann nicht mehr korrigieren. Wer handkehrum schweigt, überlässt den anderen das Feld. Es gilt, das richtige Timing zu finden.
Welche Rolle spielen psychologische Faktoren in deiner Arbeit? Welche Rolle Empathie?
Eine absolut zentrale Rolle. Von einer Krisensituation betroffene Klienten:innen schätzen, dass jemand für sie da ist, sie versteht, für sie kämpft. Dabei mischen sich Dankbarkeit und Hilflosigkeit.
Das ist bei uns genauso. Wir müssen unsere Kund:innen einfühlend begleiten und nicht Besserwisserei durchsetzen…
… genau. Umso wichtiger ist das Fingerspitzengefühl bei der Beratung: Man muss Vertrauen und Kompetenz vermitteln, aber auch Nähe und trotzdem die professionelle Distanz wahren. Gerade auch, um unangenehme Wahrheiten vermitteln zu können oder unrealistische Erwartungen an Handlungsmöglichkeiten zu korrigieren.
Wie gehst Du persönlich mit Druck in Krisensituationen um?
Es ist wichtig, ruhig und professionell zu bleiben. Gerade zu Beginn ist es entscheidend, eine klare Sicht auf die Dinge zu erhalten, indem man strukturiert und unvoreingenommen an die Sache rangeht und sich nicht in eine Haltung verrennt. Wer selbst von der Krise betroffen ist, dem fällt dies schwer. Ein guter Anwalt muss zur Sache nüchtern Distanz wahren.
Kann das auch mal heissen, dass du resolut widersprichst?
Ja, absolut, wenn es im Interesse der Klientin, des Klienten ist.
Hand aufs Herz: Was hältst Du von uns Kommunikationsberatern?
Gute Berater:innen spielen eine wichtige Rolle beim Reputationsschutz. Gerade zu Beginn einer Krise, wo die gröbsten Fehler passieren. Häufig kennen die Betroffenen die journalistischen Spielregeln und Dynamiken nicht, wissen nicht, wie Artikel in Redaktionen entstehen. Sie reagieren impulsiv und emotional. Hier ist die externe Perspektive für die Betroffenen auf die eigene Wirkung in der Kommunikation nach innen und nach aussen entscheidend
Wann rätst Du Kommunikationsberater:innen beizuziehen?
Wenn im Journalismus handwerklich korrekt gearbeitet wird, braucht es i.d.R. keinen Medienanwalt, sondern eine Kommunikationsstrategie und Beratung, wie man die Zielgruppen wirkungsvoll anspricht. Es geht auch darum, darum, die passende Sprache und Tonalität zu finden. Gute Kommunikationsberater:innen haben zudem eine gesamtheitliche Perspektive, beziehen neben der Medienarbeit auch politische und rechtliche Aspekte mit ein. Und: Sie erkennen, wann sie an ihre Grenzen stossen und ihren Kunden zu einem Anwalt raten sollten.
Leider fällt dies nicht allen gleich leicht. Ob aus Ignoranz, aus kommerziellen Motiven oder aufgrund des Egos. Dasselbe gilt übrigens für Anwälte…
…die Klienten in heiklen Fällen beraten, die eigentlich gar nicht ihr Fachbereich sind. Das gibt es leider…
Du hast dich schon genervt über Kommunikationsberater:innen?
[lacht] Ja klar. Es gab den Fall eines Medienberaters, der bei einem sichtbaren Naturereignis im öffentlichen Raum tatsächlich von mir verlangte, Medienberichte zu verhindern. Dies war nicht nur medienrechtlich unmöglich, sondern machte auch aus kommunikativer Sicht keinen Sinn. Das Gegenteil wäre notwendig gewesen: Eine möglichst transparente Kommunikation, die Vertrauen und Ernsthaftigkeit vermittelt.
Wie geht man mit Uneinigkeit um, wenn die Rechts- und Kommunikationsberater unterschiedliche Vorgehensweisen bevorzugen?
Mein Credo: Man trägt Konflikte nicht vor den Klient:innen aus, löst diese, wenn immer möglich, bilateral.
Wie beurteilst Du das jüngste Urteil des Zuger Kantonsgerichts (Tages-Anzeiger) zur hohen Gewinnherausgabe durch Blick im Fall Spiess-Hegglin? Führt dies – wie vereinzelt beklagt – zu einer Einschränkung der Medienfreiheit?
Das Urteil ist wegweisend, es konkretisiert zum ersten Mal die Berechnung des gesetzlichen Rechts auf Gewinnherausgabe. Das ist richtig so, denn man soll mit Persönlichkeitsverletzungen kein Profit machen. Ich sehe darin keine Gefahr für die Medienfreiheit. Es handelt sich um einen absoluten Ausnahmefall, mit einer beispielslosen Kadenz an gravierenden persönlichkeitsverletzenden und vorverurteilenden Medienberichten.
Welche Auswirkung auf deine Arbeit hat das jüngste Urteil des Bundesgerichts in Sachen Kooperation von Ringier und Departement Berset (SRF), das jegliche Korrespondenz zwischen Journalist:innen und Behörden unter den Schutz des Medienfreiheit stellt?
Es handelt sich um eine Bestätigung des Redaktionsgeheimnisses, das in der Bundesverfassung verankert ist. Dies tangiert meine medienrechtliche Arbeit jedoch kaum. Redaktionen müssen bei einem Gerichtsverfahren bei persönlichkeitsverletzender Berichterstattung zwar ihre Quellen nicht offenlegen, auf denen die vorgebrachten Vorwürfe basieren. Sie müssen aber weiterhin den Wahrheitsbeweis erbringen und können sich dabei nicht auf den Quellenschutz berufen.
Welchen Einfluss hat der Ressourcenabbau im Schweizer Journalismus auf Deine Arbeit?
Man spürt den ökonomischen Druck. Medienschaffende müssen Artikel bolzen, haben oftmals wenig Zeit, Sachverhalte abzuklären. Wer als Journalist:in früher eine Geschichte mit Vorwürfen gegenüber einer Person fallen liess, wenn sich diese nicht substantiieren liessen, ist heute eher bereit zu publizieren, wenn Aussage gegen Aussage steht – und nimmt dabei Vorverurteilungen in Kauf. Auch gibt es kaum noch Fachjournalismus. Die fehlende Tiefe offenbart sich manchmal in schludrigen Medienanfragen. Auch fallen mir die viel zu kurzen Fristen zur Stellungnahme auf.
Wir führen viele Gespräche mit Medienschaffenden über ihre Arbeitsbedingungen. Sie stimmen uns nachdenklich.
Ich will nicht generalisieren. Es gibt immer noch viele positive Beispiele und wunderbare Journalistinnen und Journalisten mit einer hohen Professionalität. Auch wenn die Medienqualität unter dem ökonomischen Druck leidet, ist sie in der Schweiz im internationalen Vergleich immer noch hoch. Auch der Journalismus befindet sich in einer Krise: in einer Finanzierungskrise. Ich wünsche mir, dass den Medien mehr Mittel und Zeit zur Verfügung stehen würden.
Vielen Dank für das Gespräch.