Antwort 1: Leandra aus Sicht der Psychologie
Führungskräfte der mittleren und unteren Ebene spielen eine entscheidende Rolle in einer Restrukturierung. Das bestätigen nicht nur diverse Studien, sondern auch unsere Erfahrung im Beratungsalltag. Eine Studie von Prosci (2023 ) zeigt, dass 58% der Mitarbeitenden ihre direkten Vorgesetzten als Absender von persönlichen Botschaften im Change bevorzugen. Die Führungspersonen stehen dabei vor der grossen Herausforderung, einerseits als Treiber und Vorbild im Change zu agieren, andererseits müssen sie sich selbst in der Veränderung zurechtfinden . Es liegt an den Führungskräften ihre Mitarbeitenden im Prozess abzuholen und sie auf die bevorstehende Reise vorzubereiten und mitzunehmen. Als Beraterinnen bei Farner Change versuchen wir, die Führungskräfte entsprechend auf diese Rollen vorzubereiten. Wir setzen dabei auf drei Aspekte:
1. Vorbilder aufbauen: Führungskräfte übernehmen eine zentrale Vorbildfunktion im Change. Je überzeugter sie durch die Veränderung vorangehen und ihre Mitarbeitenden dabei mitnehmen, desto eher gewinnen sie auch deren Vertrauen. Wir unterstützen hier, indem wir mit den Führungskräften vorab Informationsanlässe oder Briefing-Workshops durchführen. Dort bereiten wir sie intensiv auf ihre Rolle vor und geben ihnen die Möglichkeit, sich gemeinsam auf den Change einzustellen.
2. Offene Kommunikation: Führungskräfte stärken das Vertrauen weiter mit einer offenen und kontinuierlichen Kommunikation, während des gesamten Prozesses. Das bedeutet, auch potenziell negative Aspekte der Veränderung rechtzeitig anzusprechen. Wir begleiten die Führungspersonen in der Vorbereitung der Kommunikation, z.B. mit einem angemessenen Wording und sogenannten FAQs («häufig gestellte Fragen»), die sie auf Fragen der Mitarbeitenden vorbereiten.
3. Umgang mit Widerständen: Eine weitere Herausforderung besteht darin, den Veränderungsprozess und die betroffenen Mitarbeitenden im Auge zu behalten. Wenn sich Widerstände entwickeln oder Mitarbeitende an einem Punkt anstehen, muss schnellstmöglich reagiert werden. Es gilt aufzudecken, wo das Problem liegt und welches Bedürfnis die betroffene Person hat. Verschiedene Austauschformate im Team, in kleineren Gruppen oder bilateral können hier helfen. Als Beraterinnen können wir dafür die richtigen Gefässe und Formate zur Verfügung vordenken und aufbereiten. Schlussendlich ist es aber immer die Aufgabe der Führungskräfte, den Austausch mit ihren Mitarbeitenden zu suchen und diesen in einem sicheren Rahmen zu gewährleisten.
Fazit ist, dass Führungskräfte ihre Mitarbeitenden in einem Veränderungsprozess eng begleiten müssen. Und das können Sie nur, wenn sie auch selbst gut begleitet und auf diese Rolle vorbereitet werden.
Antwort 2: Cordula aus Sicht der Soziologie
Egal, aus welcher Sicht man auf das Thema schaut: kaum jemand dürfte bezweifeln, dass den Führungskräften eine zentrale Rolle in Change-Prozessen zukommt. Als soziologisch geschulte Beraterin interessiert mich dabei das Dilemma, in welchem sich die Führungskräfte aufgrund von Rollenkonflikten befinden:
Schauen wir uns z.B. die verschiedenen Rollen einer Teamleiterin in einer anstehenden Reorganisation an. Zum einen ist sie qua Funktion dazu verpflichtet, die Ziele der Organisation zu unterstützen und die Botschaften der Geschäftsleitung zu vermitteln. Zum anderen ist sie als gute Führungskraft ihrem Team zugeneigt und wertet die Bedürfnisse der eigenen Mitarbeitenden oft höher als die der oberen Führung. Und zum dritten ist sie sehr häufig selbst Betroffene der Transformation – oder könnte dies zumindest potenziell sein. Denn in Restrukturierungen finden die wesentlichen Einschnitte häufig gerade auf mittleren Führungsebenen statt.
Leider sehe ich in meiner Beratungspraxis bei Unternehmen häufig eine gewisse Hilflosigkeit, wie man mit diesem Dilemma umgehen soll. Zwei Ansätze, die definitiv NICHT funktionieren:
• «Das sind Führungskräfte, die können das schon selber.» Stimmt in den meisten Fällen nicht, weil (leider) immer noch in vielen Organisationen die besten Fachleute zu Führungskräften aufgestiegen sind. Doch selbst sehr, sehr gute Ingenieur*innen, Ärzt*innen, Journalist*innen etc. sind eben NICHT von Natur aus gute Change Manager*innen. Und die wenigstens wurden bisher dafür ausgebildet.
• «Wir schaffen dafür Change Agents, die treiben dann den Wandel.» Funktioniert in den meisten Fällen nicht bzw. ist aus meiner Sicht oft sogar kontraproduktiv. Denn so erlaubt man den Führungskräften im schlimmsten Fall, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Klar muss sein: Veränderung ist Führungsarbeit und lässt sich nicht delegieren.
Was also kann man tun? Zum einen gibt es unterstützende Massnahmen, die das Führen in einem konkreten Wandel erleichtern und helfen, den Rollenkonflikt zu lindern (lösen lässt er sich nicht). Dazu hat meine Kollegin Leandra oben viel Kluges geschrieben.
Darüber hinaus möchte ich zu einem längerfristigen Blick einladen: In einer Welt, in der Veränderung die Norm ist, ist Führungsarbeit IMMER auch Change Management (und nicht nur ausnahmsweise). Daher muss dieser Aspekt bei der Auswahl, Ausbildung und Beurteilung von allen Führungskräften eine zentrale Rolle spielen. Nur so lässt sich ein Führungsteam aufbauen, das in konkreten Change-Situationen reflektiert mit der eigenen, schwierigen Rolle umgeht – und dann die Mitarbeitenden kompetent im Change begleiten kann.
Über die Blogserie «1 Frage – 2 Antworten»
In der Blogserie «Change: Soziologie trifft auf Psychologie» nehmen Cordula Rieger und Leandra Bächler vom Farner Change-Team Stellung zu ausgewählten Fragen rund um Organisationsveränderungen und Restrukturierungen. Sie antworten dabei aus ihrer jeweiligen Fach-Perspektive und auf Basis ihrer Beratungstätigkeit. Das Farner Change-Team begleitet Mandanten aus allen Branchen in anspruchsvollen Veränderungssituationen. Hier mehr erfahren.